Gemeinsame Erklärung der Strafverteidigervereinigung (Deutschland), des Forum Strafverteidigung (Schweiz), der Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen sowie der Nederlandse Vereiniging van Strafrechtadvocaten
zum Richtlinienvorschlag des Europäischen Rates zum Recht auf Rechtsbeistand (Massnahme C)
Amsterdam/ Basel/Berlin/Wien, 21. Juni 2012
Die Richtlinie zum Recht auf Rechtsbeistand im Strafverfahren, Maßnahme C der sog. Roadmap zur Stärkung der Verfahrensrechte in Strafverfahren, steht in der Abstimmung zwischen Europäischem Rat und Parlament. In einer allgemeinen Ausrichtung hat der Rat am 8. Juni 2012 einen Richtlinienvorschlag unterbreitet, der weit hinter dem in nahezu allen Staaten der Europäischen Union bestehenden Rechtszustand zurückbleibt und geeignet ist, das Recht auf Rechtsbeistand auszuhöhlen. Mit der Roadmap vom 30. November 20091 hatte der Rat hat das Recht auf Rechtsbeistand zum frühestgeeigneten Zeitpunkt sowie Prozesskostenhilfe eingefordert, die sicherstellen sollte, dass ein tatsächlicher Zugang zum Recht auf Rechtsbeistand besteht.
Bereits der Richtlinienvorschlag der Kommission vom 8. Juni 20112 aber enthielt eine Regelung des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe nicht mehr. Der nunmehr verabschiedete Richtlinienvorschlag des Ratess enthält weitere Änderungen zum Nachteil der Verfahrensrechte eines Beschuldigten, die dessen Recht auf Verteidigung insgesamt in Frage stellen. Im Zentrum steht eine weitgehend allgemein gehaltene Ausnahmeregelung, die das Recht auf Rechtsbeistand und nunmehr auch die Vertraulichkeit des Verteidigergesprächs unter Vorbehalt und damit zur Disposition von Polizei- und sonstigen Ermittlungsbehörden stellen soll. Damit geht der neue Richtlinienvorschlag nicht nur hinter die Rechtslage nahezu aller EU-Staaten zurück; er untergräbt auch die u.a. im Salduzurteil4 vom EGMR aufgestellten Rechtsschutzstandards.
Regelungen wie diese stammen aus dem Repertoir von Polizeistaaten - sie sind der Europäischen Union unwürdig. Während der Rat alle Ansätze zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes systematisch unterminiert, bemüht er sich zugleich mit der Europäischen Ermittlungsanordnung (EEA) um die Schaffung grenzüberschreitender Ermittlungsmöglichkeiten und einen nahezu ungehinderten Transfer strafprozessualer Eingriffsmöglichkeiten ohne substantielle Überprüfungsmöglichkeit im Vollstreckungsstaat.
Bereits jetzt kann von Waffengleichheit und Fair Trial in Europa kaum die Rede sein. Sollten die jetzt vom Rat vorgeschlagenen Regelungen umgesetzt werden, dann wäre das rechtsstaatliche Strafverfahren in seiner Substanz bedroht.
Die Strafverteidigervereinigungen, das Forum Strafverteidigung, die Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen sowie die Nederlandse Vereniging van Strafrechtadvocaten fordern das Europäische Parlament daher auf: ... den effektiven Schutz von Beschuldigtenrechten durch Rechtsbeistand gegenüber dem Rat durchzusetzen; ... keiner Richtlinie zum Rechtsbeistand zuzustimmen, die diesen unter Vorbehalt stellt; ... keine weitere Abstimmung und keine Arbeit an einer Europäischen Ermittlungsanordnung zuzulassen, solange nicht zuvor ein umfassendes und uneingeschränktes Recht auf effektiven Rechtsbeistand und Zugang zu diesem gewährt ist.
Strafverteidigung Europa